Montag, 5. Oktober 2015

Vedere, avere compassione, insegnare – Sehen, Mitleid haben, lehren: Oder die drei großen Themen der kommenden Synodenwochen

"Sehen, Mitleid haben, Lehren". Diese Kurzversion der Haltung Jesu gegenüber den Menschen zitierte Kardinal Péter Erdö aus der Angelus-Ansprache von Papst Franziskus vom 19.7.2015 zu Beginn seines Einführungsreferates vor dem Synodenplenum in Hinblick auf die gestern bereits erwähnten drei großen Themenkomplexe des Vorbereitungsdokumentes Instrumentum laboris. 

Papst Franziskus und Kardinal Péter Erdö während seines Einführungsreferates

Die drei Verben sind in der Haltung Jesu immer miteinander verbunden: sein Blick nämlich ist nicht der Blick eines Soziologen oder eines Fotoreporters, denn er blickt immer mit den »Augen des Herzens«. Diese beiden Verben, sehen und Mitleid haben, gestalten Jesus als den Guten Hirten. Auch sein Mitleid ist nicht nur ein menschliches Gefühl, sondern es ist das Empfinden des Messias, in dem die Zärtlichkeit Gottes Mensch geworden ist. Und diesem Mitleid entspringt das Verlangen Jesu, die Menge mit dem Brot seines Wortes zu nähren, das heißt die Menschen das Wort Gottes zu lehren. Jesus sieht, Jesus hat Mitleid, Jesus lehrt uns.“ (Angelus, 19.7.2015)
Mit diesen drei Verben Sehen, Mitleid haben, Lehren“ führte Kardinal Erdö im Verlauf des heutigen Vormittags in einer einstündigen, dichten Rede in Anwesenheit von 258 (von 270) stimmberechtigten Synodalen in die drei Teile des Vorbereitungsdokumentes ein: Das wahrnehmende Hören auf die Herausforderungen der Familie, deren Aufnahme in der barmherzigen Liebe Jesu und die Unterscheidung in Hinblick auf die konkret sich stellenden Einzelfragen in der Welt von heute – wie im gestrigen Blog schon als Dreischritt der nächsten Wochen benannt. Heute ging es gleichwohl in einem Aufriss des gesamten Spannungsbogens einerseits im gewissen Sinn bereits um alles – und damit nicht von ungefähr auch wiederum um die Gretchenfragen, wie es nicht nur die mittägliche Pressekonferenz vor Augen führte.

Zuvor aber hielt Papst Franziskus ein einladendes und ermahnendes Grußwort an alle Synodalen, indem er wie zu Beginn der Außerordentlichen Bischofssynode des vergangenen Jahres die Synode als „Miteinander-Gehen im Geist der Kollegialität und der Synodalität“ bezeichnete und als die richtigen Herangehensweisen Freimut („Parrhesia“), pastoralen und doktrinalen Eifer, Klugheit und Aufrichtigkeit benannte.

Die Synode ist kein Kongress, kein Sprechzimmer, kein Parlament oder Senat, wo man sich ins Einvernehmen setzt. Nein, die Synode ist ein kirchlicher Ausdruck, das heißt, die Kirche, die miteinander unterwegs ist, um die Wirklichkeit mit den Augen des Glaubens und dem Herzen Gottes zu lesen; es ist die Kirche, die sich über die Treue zum Glaubensgut befragt, das für sie kein Museum ist, das es anzuschauen oder bloß zu bewahren gälte. Vielmehr ist das Glaubensgut eine lebendige Quelle, an der die Kirche ihren Durst stillt, um den Durst des Lebensgutes zu stillen und zu erleuchten. Sie ist ein geschützter Ort, wo die Kirche das Wirken des Heiligen Geistes erfährt. In der Synode spricht der Geist durch die Sprache aller Menschen, die sich von Gott leiten lassen, von Gott, der immer überrascht, von Gott, der sich den Kleinen offenbart in den Dingen, die er den Wissenden und den Intelligenten verbirgt; von Gott, der das Gesetz des Sabbat für den Menschen schuf und nicht umgekehrt; von Gott, der die 99 Schafe zurücklässt, um das einzige verirrte Schaf zu suchen; von Gott, der immer größer ist als unsere Logiken und unsere Rechnungen.“ (Pressemeldung von Radio Vatikan vom 5.10.2015)

Dass die Synodalen mit Papst Franziskus auf das Wirken des in den Gottesdiensten der beiden vergangenen Tage angerufenen Heiligen Geistes in den nächsten drei Wochen vertrauen, unterstrichen – jeder auf seine Weise – auch die von Pressesprecher Federico Lombardi als 'Protagonisten' der XIV. Ordentlichen Bischofssynode bezeichneten ersten Gäste aus der Synodenaula bei der mittäglichen Pressekonferenz. Die bereits aus den Pressekonferenzen der III. Außerordentlichen Bischofssynode bekannten Kardinal André Vingt-Trois, Erzbischof von Paris und Präsident der Synodenversammlung, Kardinal Péter Erdö, Erzbischof von Esztergom-Budapest (Ungarn) und Generalrelator und Mons. Bruno Forte, Erzbischof von Chieti-Vasto (Italien) und Spezialsekretär der Synode, betonten eben diesen geistlichen Weg des Gebets (Vingt-Trois) der mit dem Synodenbeginn heute eröffnet sei. Die vielfältigen Herausforderungen und Umwälzungen von Ehe und Familie weltweit bildeten das gemeinsames Thema (Erdö) trotz aller kulturellen Unterschiedlichkeit und Herkünfte der Synodenväter (Vingt-Trois), die auf die schon zuvor von Papst Franziskus angesprochenen Haltungen der Parrhesia, des Mutes und der Demut (Forte) gerade in Hinblick auf die Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen angewiesen seien.

Dass die Rückfragen der Pressekonferenz im direkten Anschluss beinahe ausnahmslos auf die umstrittenen Fragen zu den Wiederverheiratet Geschiedenen (gestellt in beinahe allen Weltsprachen), das Thema Sexualität und Homosexualität kreisten, hat einerseits direkten Bezug auf das auch diese Themen nicht aussparende Einführungsreferat von Kardinal Erdö. Sie gelten den Journalisten, der interessierten Öffentlichkeit wie der Christenheit weltweit als Nagelprobe, ob und welche neuen Wege die Synode einzuschlagen gewillt ist.
 
Wer heute mehr als die Skizzierung der verschiedenen im Vorbereitungsdokument dargelegten Vorschläge durch Kardinal Erdö erwartete, wurde enttäuscht – selbst wenn Pressesprecher Lombardi mit einem süffisanten Lächeln im Anschluss bemerkte, dass die Synode heute schließlich erst beginne und noch nicht beendet sei. Und ebenfalls auf ein ergebnisoffenes, gemeinsames Fragen und Suchen hob Erzbischof Forte ab, als er wider das außerhalb der Synodenaula häufig zitierte Bild von zwei einander gegenüberstehender, ja einander bekämpfenden Parteien die Gemeinsamkeit aller Synodenteilnehmer unterstrich:
Ich würde ehrlich sagen, dass im Innern der Synode der Eindruck ein anderer ist. In Wirklichkeit sind das alles Hirten, Männer des Glaubens, die auf Gott hören und auf die Erwartungen der Menschen. Das eint uns zutiefst.“ (Pressemeldung von Radio Vatikan vom 5.10.2015)