Freitag, 23. Oktober 2015

Eine Kirche voller Zärtlichkeit für alle Menschen … der Beginn einer neuen Kirche!"
                               Eine Synode, die die Kirche für Zärtlichkeit öffnet

Dies sagte der belgische Erzbischof von Gent, Lucas Van Looy, in seinem Schlussstatement der heutigen Pressekonferenz, das er in ähnlicher Weise auch in der Synodenaula vorgetragen habe. Er wie auch die beiden anderen zum vorletzten Pressebriefing dieser Synode geladenen Gäste, Kurienkardinal Peter Turkson (Ghana) und der kanadische Kardinal Gérald Cyprien Lacroix, Erzbischof von Quebec, bestätigten, dass die Synodenversammlung den Entwurf des 'ratio finalis' genannten Abschlussdokumentes mit hoher Zufriedenheit und Dankbarkeit aufgenommen hätten. 1135 Änderungsanträge – die meisten zum dritten Teil des Arbeitsdokumentes 'Instrumentum laboris' – hat das zehnköpfige Redaktionsteam berücksichtigt und eingearbeitet.

51 Redebeiträge nahmen am heutigen Vormittag zu dem Entwurf Stellung, die breit gefächert biblische Bezüge und Ergänzungen zu den Themen Migranten, Bildung, Seelsorge, Begleitung, Bildung, Spiritualität und des Leidens von Familien einbrachten. Eine Reihe von Eingabenneben Kardinal Lacroix auch von den Kardinälen Marx, Müller, Nichols, Schönborn, Sarah und Sistach - konzentrierten sich daneben auf das zentrale Thema von Gewissen und Moral. Dennoch würde darüber kein „verwässerter Text“ entstehen, wie Kardinal Turkson betonte, sondern ein Abschlussdokument, das die unterschiedlichsten Gesichtspunkte und kulturellen Besonderheiten berücksichtige und darin auch die Kollegialität der Bischöfe der Weltkirche einbringe.

Der morgen zur Pressekonferenz eingeladene Präsident der Synodenversammlung, Kardinal Raimundo Damasceno Assis prognostiziert schon heute gegenüber 'Rome Reports':
„El documento expresa sin duda ninguna, si no el consenso de la totalidad, por lo menos de la gran mayoría de los padres sinodales”.
 Das Dokument bringt ohne Zweifel den Konsens aller, zumindest die überwiegende Mehrheit der Synodenväter zum Ausdruck.“ (eigene Übersetzung)
Ebenfalls zur morgigen Pressekonferenz ist der Moderater der deutschen Sprachgruppe und – gestern wiedergewähltes – Mitglied des Synodenrates, Kardinal Christoph Schönborn, eingeladen. Er wurde heute von Vatican Insider zu den Überlegungen der deutschen Sprachgruppe zu dem Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen befragt. Kardinal Schönborn antwortet auf die Frage, die auch in der Pressekonferenz erneut gestellt wurde, ob hierzu Familiaris Consortio nicht schon ausführlich Stellung bezogen habe mit einem konkreten Beispiel:

The classic case of the woman with young children who is abandoned by her husband. She must survive if she meets a man who is willing to embrace her and her children: this cannot simply be seen as a case of adultery as a result of the second union. There is also another act of generosity and virtue in this new situation, even though it is not sacramental. Here, it is important we follow the words of St. Thomas, because during the Synod, we did witness a minor conflict between a radical Augustinianism and classical Thomism. In “Civitas Dei”, Augustine puts forward the idea that all acts performed by pagans were immoral, that they lack virtue. But St. Thomas strongly rejects this position and even Church Fathers such as Clement of Alexandria and St. Maximus the Confessor referred to the virtues of pagans. The Bible itself does so with Job, a pagan… St. Thomas explained: even though paganism is idolatry, despite this fact, pagans are capable of performing some truly virtuous acts. "
"Der klassische Fall der Frau mit kleinen Kindern, die von ihrem Mann verlassen wird. Sie müssen überleben, und wenn sie einen Mann findet, der bereit ist, sie und ihre Kinder zu umarmen, kann das nicht einfach als ein Fall von Ehebruch als Folge einer Zweitbeziehung angesehen werden. Hier ist eine andere Weise von Liebe und Tugend verwirklicht in dieser neuen Situation, auch wenn sie nicht sakramental ist. An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir den Worten von des hl. Thomas folgen, weil wir während der Synode Zeuge eines geringfügigen Konflikts zwischen einem radikalen Augustinismus und dem klassischen Thomismus wurden. In "Civitas Dei" vertritt Augustinus die Idee, dass alle von 'Heiden' vorgenommenen Handlungen unmoralisch sind und der Tugend entbehren. Aber Thomas von Aquin verwarf diese Position, und sogar Kirchenväter wie Clemens von Alexandrien und der Hl. Maximus Confessor sprachen explizit von Tugenden der Heiden. Die Bibel selbst tut dies etwa mit Hiob, ebenfalls ein Heide... Der hl. Thomas erklärt: auch wenn das Heidentum Götzendienst ist, sind Heiden trotz dieser Tatsache zu tugendhaften Handlungen fähig." (eigene Übersetzung)

Was hier beim ersten Lesen vielleicht etwas 'philosophisch-abgehoben' klingt, hat ganz lebenspraktische Bedeutung – gerade für die Kirche. Denn der theologisch sehr bedeutsame Hinweis auf die 'praktische Perspektive' des Thomas von Aquin in seinem theologischen Gesamtentwurf ist zugleich ein Plädoyer für die bei Thomas grundgelegte Philosophische Ethik, eine eigenständige praktische Vernunft und darüber hinaus für eine Schöpfungstheologie, die unmittelbar mit den Gedanken und theologiegeschichtlichen Hintergründen der Schöpfungsenzyklika 'Laudato Si' verbunden ist, wie es auch in diesem Blog am 19.8.2015 beschrieben wurde. Kardinal Schönborn sieht dies bestätigt – und nimmt darin die Worte von Papst Franziskus auf – in der Sicht- und Handlungsweise Jesu.
Jesus was moved by human suffering, we read about this in the Gospels. Today, Jesus embraces and in this merciful embrace, a person feels loved and recognises their sin. In last year’s catecheses, Pope Francis taught us an important lesson, they are tear-jerkingly beautiful, because we learn all about closeness though life but with the watchful eye of the pastor, who does not coldly observe reality, like a scientist or an ideologue does: this truly is the pastor’s school.
Jesus wurde von menschlichem Leid bewegt, wie wir in den Evangelien lesen. Heute umarmt uns Jesus, und in dieser barmherzigen Umarmung, fühlt sich eine Mensch geliebt und erkennt dadurch zugleich seine Sünden. In seinen Katechesen dieses und des letzten Jahres hat Papst Franziskus uns teilweise zu Tränen angerührt, indem er uns die Nähe zum Leben im liebevoll aufmerksamen Blick des Hirten nahbrachte, der nicht kalt Wirklichkeit analysiert, wie ein Wissenschaftler oder Ideologe: eine wahre Schule des Hirten." (eigene Übersetzung)
Kardinal Turkson wird in der Pressekonferenz auf die damit verbundene, wiederholt gestellt Frage, ob in Familiaris consortio nicht schon alle Fragen beantwortet seien, noch einmal deutlicher: Dass sich gerade in Hinblick auf 'die Familie' wirklich niemals etwas aufhöre zu ändern; und von daher auch Beurteilungen zu Familienfragen sich ändern müssten. Wenn sich die Situation der Familien ändert, verliere die Kirche ihre Begleitung und Zeitgenossenschaft, wenn sie nur lehramtliche Weisungen von früher zitiere. "Die Begleitung hört niemals auf. Die Pastoralkonstitution 'Gaudium et spes' des II. Vatikanischen Konzils lädt uns ein, die Begleitung der Familien kontinuierlich fortzusetzen."

Zur Wahrnehmung der Zeichen der Zeit forderte auch Papst Franziskus heute in der Frühmesse im Gästehaus St. Martha auf:
Wir haben diese Freiheit, Dinge zu beurteilen. Doch damit wir das tun können, müssen wir das zu Beurteilende auch kennen. Und wie geht das? Die Kirche bezeichnet das als das ,Erkennen der Zeichen der Zeit‘. Denn die Zeiten ändern sich. Und es gehört zur christlichen Weisheit dazu, diese Änderungen wahrzunehmen, zu verstehen, was das Ganze soll, ohne Angst davor zu haben und in völliger Freiheit.“ (Radio Vatikan 23.10.2015)